Solve et coagula
Was wir den Träumen entnehmen... liegt alles an der Oberfläche. Die Tiefe liegt in der unsichtbaren Verbindung; und sie arbeitet mit unseren Händen dort an den unsichtbaren Verbindungen, wo wir es nicht sehen können, tief im Dunkel der Nacht, sie dringt ein, sie sammelt und differenziert, sie behandelt Wunden, sie rührt, sie wühlt auf, sie knetet – all dies beinhaltet die Arbeit an Träumen.
James Hillman (1979)
The dream and the underworld.
Perennial Library, Harper & Row Publishers
New York, p. 140.
Vielleicht liegt es an meinem Jungschen Hintergrund, dass ich nicht zögere, die Werke von Davide Tirelli als alchemisch einzustufen, denn die Art und Weise, wie er sie hervorbringt, ist untrennbar mit dem spirituellen Gedanken, der das Werk umkreist, verbunden. Es ist daher eindeutig, dass das Kunstwerk innerhalb der Materialien, der Farbe und der Verfahren liegt und es unangemessen wäre, nach “Bedeutungen” zu suchen.
Man sollte Tirellis schwefelhaltige aber dennoch reine Arbeit eher als ein Phänomen der Unterwelt betrachten und berücksichtigen, dass sowohl in der Vulkanologie als auch in der Psychoanalyse alles was tief im Inneren versteckt ist, irgendwann wieder an die Oberfläche kommt. Die Gemälde, Balken und Würfel sind Objekte, welche die Tiefen des Unterbewussten – und damit der Träume—widerspiegeln. Er verwendet dafür Rohmaterialien, die gleichzeitig jedoch auch eine Fruchtbarkeit aufweisen, wie z.B. Brotteig, Lehm oder geschmolzenes Metall. Substanz.
Um diese Substanz in der alchemischen Arbeit zu verwenden, ist es notwendig, die Materialien zu deformieren. Es ist beschädigt, gekocht, geschunden, getrocknet. Sein Vokabular an Bildern ruft diese Deformation wieder hervor: nigredo, mortificatio, solutio, separatio, divisio, putrefactio. Begriffe, die auf diabolische Art und Weise im akademischen Vokabular auftauchen und psychologische Prozesse beschreiben: Projektion, Sublimierung, Fixierung, Verdichtung.
Wenn wir die Psyche betrachten, dann ist das Natürliche nicht länger genug. Man benötigt einen fortlaufenden Prozess von solve et coagula. All das, was permanent und Teil unserer täglichen Lebens ist, wird durch Wärme aufgelöst und all das, was volatil und unsicher ist, wird gefestigt und gehärtet.
Wieder einmal verbinden sich die Psyche und die Chemie in den Substanzen, die Tirelli verwendet: Schwefel und Wut, Salz und Verbitterung, Blei und Schwere, Quecksilber und Leichtigkeit. Dies wird bei der Verwendung seiner Farben noch deutlicher: Orange, grau, rot, blau, weiss – die natürlich keiner Erklärung bedürfen.
Es ist kein Zufall, dass diese Techniken chromatische Namen haben (die schwarzen, rotten oder weissen Werke, nigredo, rubedo, albedo, oder warum nicht einfach die Namen der Substanzen von Burri verwenden – Teer, Humus, Verbrennung, “Cretti” und Cellotex). Tirelli erschafft eine Sprache der Entstellung, die auf fast klangvolle Weise explodiert und aufwallt.
Aber es geht nicht einfach nur darum, “abscheuliches” Material in “edles” Material zu verwandeln, wie bei der Geschichte mit dem Blei und dem Gold, sondern um die Verwandlung von unreinen Rohmaterialien in etwas menschlicheres. Vielleicht kann man die Art und Weise der Verwendung von Farben und Formen, wie Tirelli sie in seinen “Brandwunden“ aus lavaartigem, intestinalen oder zerebralen Substanzen entdeckt und erfunden hat, intuitiv als Teil der Reise zum “Segnal Etica” (einer früheren Serie von Werken) der menschlichen Natur betrachten.
„Sie sind ein Teil von mir” sagt er. Ich denke, Tirelli muss man bei der Arbeit erleben, damit er uns die körperlichen Bewegungen zeigen kann, die notwendig sind, um sein Material zu "entzünden", es zu kleben und mit Farben zu versehen, um es in diese “strahlenden Knoten” zu verwandeln, um seinen eigenen Ausdruck zu finden „in dem alle Ideen schliesslich münden.” Ich habe ihn nicht bei der Arbeit gesehen, aber ich habe gesehen, wie er mit seinen Werken umging, als er sie in mein Studio brachte. Ruhig, wie ein Arbeiter, ungeachtet der Emotionen, die von diesen Objekten ausgehen. Die Ruhe einer Person, die - zumindest für den Augenblick – durch ihre Schöpfung eine Rechnung mit dem Leben und dem Tod beglichen hat und sich jetzt zurücklehnen und die Ordnung ihres Werks betrachten kann. Bis zum nächsten Fieber. Ein Fieber, das die Welt auf der Suche nach Ersatzteilen zerlegen kann, ein Fieber das Verbindungen trennt, zerstört und die das Leben dann zu einer neuen Einheit verschmilzt.
In der Sprache der Alchemie bedeutet der Begriff “Transformation” die Erreichung der Fülle der Geheimessenz, die Befreiung dieser Essenz von allen Unreinheiten und Verfälschungen. Tirelli strebt die opus contra naturam einer Transformation an, welche diese Unreinheiten zeigt und er präsentiert ohne zu Zögern die organische Vitalität dieses Materials in der Form obszöner Schönheit
Vittorio Lingiardi
Professor für Psychologie
Universität La Sapienza - Rom